Gemeinsame Gegenspieler

Am Montag war ich bei der Deutschlandpremiere von Men in Black 3. Ein großes Event mit – nach Veranstalterangaben – ca. 7.000 Menschen. Schon vorher twitterte ich über den unsinnigen Vermerk auf der Eintrittskarte:

Tatsächlich hatte ich jedoch angenommen, dass es aus rationalen Gründen harmloser ablaufen würde, als es die Karte vermuten ließ. Doch die Realität spottete jeder Beschreibung.

Der Weg hinein

Es ist früher Abend, meine Begleitung und ich stehen am Eingang der o2 World, vor dem sich bereits die Gäste sammeln. Schließlich öffnen sich die Tore, eine ganze Reihe Securitymenschen versperrt sie wieder und es werden an allen Eingängen einzeln Personen durchgewunken. Von der Sicherheitsfachkraft, die uns schließlich vorbei lässt, werden wir direkt in die Obhut von weiteren Kollegen gegeben, die uns auffordern, unsere Taschen zu leeren und uns anschließend abtasten. Tatsächlich müssen alle technischen Geräte – Mobiltelefone, MP3-Player, sogar Kopfhörer! – abgegeben werden. Zu diesem Zweck werden wir von dieser abtastenden Security an eine beaufsichtigende Security weitergereicht, die uns zur nächsten Schlange leitet, an der wieder warten. Weiteres Sicherheitspersonal ist hier emsig bemüht, alle Gegenstände einzutüten, Nummern dranzutackern und diese Nummern auszugeben. Wir erhalten also drei Kärtchen und dürfen uns, sämtlicher Digitalität beraubt, endlich frei im Gebäude bewegen.

An den Zuschauerrängen angekommen können wir erneut nur lachen: Metalldetektoren und weitere Sicherheitskontrollen schaffen astreines Flughafenfeeling. Wieder die Taschen leeren. Ja, den Gürtel bitte auch abnehmen. Mein Autoschlüssel wird genau studiert, das Portemonnaie-Innenleben muss auch präsentiert werden. Vor und hinter uns immer wieder Menschen mit High Heels oder Schuhen, die über die Knöchel reichen: bitte mal ausziehen. Nachdem auch diese zeitaufwändige Vereinzelung endlich geschafft ist, können wir uns nach über einer halben Stunde schließlich auf den Rängen Plätze suchen. Wir sitzen. Genießen das Event. Und reflektieren.

Das Personal

Die Stimmung auf dem Weg zu unseren Plätzen war keineswegs so autoritär, wie man vielleicht herauslesen könnte. Bei all den Maßnahmen waren die Sicherheitskräfte trotz maximaler Gewissenhaftigkeit ausnehmend freundlich. Ich unterhielt mich während der Prozeduren mit ihnen. Ich machte Witze. Sie lachten.

Ich fragte den Abtaster, ob er nicht vorher des Anstands halber wenigstens mit mir was essen wolle. Er antwortet kichernd, es gebe die Möglichkeit, das oben hachholen. Er könne jedoch nicht dabei sein, aber ich könne ja etwas für ihn mitessen. Bei der Frage, welche Gefahr mein fast zehn Jahre altes Siemens S55, auf das ich wegen des Ticketshinweises vorsichtshalber umgestiegen war, für die Aufnahme eines 3D-Films darstelle, lacht er, zuckt die Schultern, schüttelt den Kopf und spricht bedauernd den Satz aus, der ohnehin bereits im Raum stand: „Ich befolge nur Anweisungen.“

Allgemein ist das der Tenor aller Sicherheitskräfte, mit denen ich spreche: Sie sehen den Sinn auch nicht wirklich, haben ihre Anweisungen und bemühen sich, diese so gewissenhaft, aber auch so sozialverträglich wie möglich durchzuführen. Entsprechend unaufgeregt war auch die Stimmung während des gesamten Prozesses, die lediglich von viel verständlichem Unverständnis geprägt war.

Der Weg hinaus

Fast jedem der Gäste schien jedoch schon beim Eintritt klar zu sein, dass das Ganze nochmal anstrengend würde. Denn schließlich, als die Premiere endet und der Applaus noch die Halle erfüllt, springen viele schon hektisch auf und fliehen regelrecht von den Rängen. Auf dem Weg nach unten bietet sich uns dann ein Bild, das auch wir schon vorher vermuteten: Tausende Menschen drängeln sich in der Eingangshalle, um an die zwei Ausgabestellen zu gelangen. Sie sind nach Nummern sortiert: 1-2999 und 3000-5999.

Das Gedränge in der Halle ist groß, voran geht kaum etwas. Immer mehr Menschen gelangen über die Rolltreppen nach unten. So richtig klar wird der Beginn einer Schlange nicht. Viele Menschen stellen sich irgendwo passend hin, blicken in dieselbe Richtung und warten darauf, einzelne Schritte nach vorne gehen zu können. Nach knapp 20 Minuten läuft ein diesmal doch etwas autoritär wirkender Sicherheitsmensch durch die Reihe und zieht noch eine weitere Absperrung auf, um den Personenfluss etwas zu steuern. Der Unmut über den plötzlichen Aufruhr und das verstärkte Gedrängel bahnt sich einen brummelnden Weg durch die Masse. Nach einer halben Stunde sind wir endlich durch die Schlange durch, können unsere Kärtchen abgeben, erhalten unsere Sachen zurück und können dem Trubel entfliehen.

All diese Maßnahmen waren der Premiere – diesem Event, das viele gutgelaunte Menschen gemeinsam erleben wollten – irgendwie unwürdig. Denn neben der gelungenen Inszenierung und dem Film selbst, hinterließ das ganze Prozedere einen faden Beigeschmack, der mit ein wenig Reflexion deutlich und exemplarisch zeigt, weshalb die Urheberrechtsfragen in der letzten Zeit so hochkochen, weshalb sich Fronten bilden und woher die Feindbilder kommen.

Das „große Ganze“

Doch gehen wir einen Schritt zurück und überlegen uns ein Idealbild: Der Abend wäre ein gemeinsames Event gewesen. o2 und Sony Pictures hätten zu einem Großereignis geladen, das sie mit ihren Fans feiern. Bezahlt, versteht sich. Dazu tauchen die Stars – Will Smith, Barry Sonnenfeld, Nicole Scherzinger und Josh Brolin – auf, lassen sich feiern, machen Stimmung. Doch über dieser ganzen Inszenierung, dem Spaß und dem Event schwebte deutlich das Misstrauensvotum, das alle von uns von DVDs kennen: Du darfst hier nur rein, wenn du nichts mit rausnimmst. Und dafür sorgen wir. Mit der größtmöglichen Härte.

Doch was hat dieses Verhalten noch mit der Realität zu tun? Die Ränge, auf denen das normale Volk saß, waren bestimmt 40 Meter von der großen Leinwand entfernt, vielleicht auch mehr. Es war ein 3D-Film. Noch dazu ein Actionfilm. Wovor sollte denn jemand Angst haben, wenn es um das Abfilmen unter solchen Umständen geht? Natürlich, die Veranstaltung war eine Premiere, sie war quasi exklusiv und fand anderthalb Wochen vor dem offiziellen Kinostart statt. Dennoch kann man sich die Frage stellen, wozu dieser riesige Apparat aufgefahren werden musste.

Meines Erachtens gibt es auf diese Frage nicht viele Antworten. Und neben einem Herrschaftskomplex fällt nur noch das Offensichtlichste ein, das ja auch schon auf der Karte vermerkt war: Pirateriebekämpfung. Aber ganz im Ernst: Durch eine wackelige, verschwommene (nochmal: der Film war in 3D!) Smartphone-Aufnahme eines Actionfilms aus großer Distanz geht sicherlich kein einziger Kinobesucher verloren. Nicht einer. Man kommt also nicht umhin, den Verantwortlichen hier schlichtweg Unwissenheit zu unterstellen. Sie wissen nicht, was ihre Kunden wirklich wollen, sondern haben lediglich eine panische Angst davor, dass sie es sich woanders holen. Man kann sich richtig vorstellen, wie ein paar Menschen in Anzügen miteinander verhandeln. „Ihr müsst aber dafür Sorge tragen, dass keiner was aufnimmt“, sagt einer. „Kein Problem, kriegen wir hin“, antwortet sein Gegenüber.

Wenn ich auf diesen Abend blicke, kann ich das Vor- und das Nachspiel eigentlich nur symptomatisch für einen Großteil der Debatten sehen, die derzeit rund um das Urheberrecht geführt werden. Es gibt eine Industrie, die Angst vor Dingen hat, die sie nicht versteht und die sie mit allen Möglichkeiten des Rechtsstaates zu unterdrücken versucht. Mit einem Aufwand, der vollkommen unverhältnismäßig zum potentiellen Schaden ist. Mit einer Maschinerie, die Personen Handys abnehmen lässt, die bereits bei 100 SMS an ihre Speicherkapazitäten stoßen. Einer Maschinerie, die Menschen Schuhe und Gürtel ausziehen lässt und damit mehr an Terrorismusgefahr und Flugzeugabstürze denken lässt – anstatt an ein großartiges Filmereignis.

Was ich am Ende dieses Abends sehe, ist eine Industrie, die werktags das Bild einer verarmenden Sparte verbreitet, die eigentlich nur von ihrer Kunden-, Kunst- und Kulturliebe leben möchte, aber  sich am Wochenende nur Zahlen ansehen und weitere Produktverkäufe planen. Diese Industrie versteht es zweifellos, Content – auch wirklich guten Content – zu produzieren und zu vermarkten. Aber ihre Historie begründet sich darauf, an Großhändler auszuliefern – an Filmverleiher und Plattenläden. Und genau hier müssen Einsichten geschehen, bevor wir wirklich vernünftige Diskussionen, Debatten führen und Lösungen diskutieren können. Denn Situationen, bei denen alle Beteiligten die Köpfe schütteln, während sich Führungsebenen auf die Schultern klopfen, sich erfolgreich gegen Piraterie zu wehren, sind keine Grundlage, sondern schaffen maximal eine aufgeheizte Stimmung voller Unverständnis.

Eigentlich sollten Endkunden und Verlagsfirmen gleichermaßen daran interessiert sein, dass Content produziert wird, der gerne und einfach rezipiert wird. Stattdessen sieht die Content-Industrie in ihren Endkunden immer wieder eine Bedrohung. Solange sich dieser Zustand nicht ändert, werden wir immer wieder polemische Aktionen erleben, die die Fronten, die eigentlich keine sein müssten, weiter verhärten und etablieren. In einer solchen Konstellation sind die Argumente ohnehin egal.