Gedanken zur Wahl

Neulich saß ich beim Fußballspiel gegen Österreich mit einem Kumpel zusammen und wir unterhielten uns über die Wahl. Er war noch sehr unentschieden, was er wählen sollte und zeigte sich erstaunt davon, dass ich meine Stimme bereits abgegeben hatte: „Das könnte ich zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht.“

Im Laufe des weiteren Gesprächs kamen ein paar Themen zur Sprache, die ich gerne mit Frau Gombert und euch teile.

Taktisch wählen ist scheiße

Punkt. Das hat viele Gründe. Zuallerst einen moralischen. Gewählt wird, was laut aktueller Umfragesituation taktisch irgendwie noch am besten passt. Das kann keine solide Willensbekundung des Souveräns sein. Zudem bedeuten solche Wahlentscheidungen auch Rückkopplung: Die Umfragen verschieben sich in taktische Richtungen und sorgen somit wieder für andere taktische Konstellationen.

Bei der letzten Bundestagswahl sah man sehr gut, was es bedeutet, taktisch zu wählen: Viele Deutsche gaben der FDP ihre Stimme, weil sie es als einzige Möglichkeit sahen, die Weiterführung der Koalition aus SPD und CDU zu verhindern. Der Plan ging zwar auf, aber die FDP ging mit derart stolzgeschwellter Brust in die Regierung, dass es Mediendeutschland kaum aushalten konnte. Der Rest ist dem Politikinteressierten bekannt. Und am damaligen Parteivorsitzenden Guido Westerwelle sah man auch sehr gut, wo so eine Wahlaussage hinführt: „Niemand hat der FDP Stimmen geschenkt! Deutschland findet nur uns und unser Programm so cool!“ Das wird’s gewesen sein.

Zudem führt taktisches Wählen zu keiner großen Veränderung. Wenn man nur die Wahl zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün sieht – oder nach aktueller Umfragenlage vielleicht sogar nur zwischen … na ja. Zwischen was? Gelb, damit Schwarz nicht noch stärker wird? Wer einen politischen Wandel herbeiführen möchte kann mit einer solchen „Wahl“ nicht zufrieden sein. Was zudem ein weiterer wichtiger Punkt ist: Als Souverän des Staates kann niemand damit zufrieden sein, gegen – oder wenigstens nicht völlig für – seine Überzeugung zu wählen.

Kurzum: Wählt, was euch am besten passt!

Nichtwählen geht nicht

Dazu zählt – bitte gut aufpassen – auch eine ungültige Stimmabgabe. „Dann wähl halt/wenigstens ungültig.“ Ich höre das bei jeder Wahl erschreckend oft. Und muss jedes Mal widersprechen: Ungültig wählen bedeutet nicht zu wählen. Mehr nicht.  Nähere Information hält Wahlrecht.de bereit (nicht halb so förmlich, wie es vielleicht klingt). Nicht oder ungültig zu wählen drückt auch keinen Protest aus. Es setzt auch keine Zeichen, sondern führt höchstens zu halbherzigen Wählermotivationsprogrammen oder aber auf lange Sicht zu einer Wahlpflicht. Aber wer soll sich denn an geringer Wahlbeteiligung stören? Diejenigen, die auch gerade dadurch gewählt wurden? Diejenigen, die davon profitieren, dass 40% auf dem Sofa blieben, statt die Konkurrenz zu wählen? Die Realtität ist: Die Parteien setzen darauf, ihre Wählerschaft zu mobilisieren. Der Rest darf gerne auf die Kundgebung ihres politischen Willens verzichten. Eine andere Sichtweise – und wir wissen, dass „die Politiker“ gerne dazu neigen, Sichten einzunehmen, die ihnen nutzen – wäre zu sagen, dass Menschen, die nicht wählen, wohl so wenig an der Politik interessiert sind, weil es ihnen in ihrem Leben schlicht gut genug geht. Also alles weiter so. So schnell wird aus vermeintlichem Protest eine Zufriedenheitsbekundung. Außerdem: Dadurch werden die Stimmen all der Idioten, die ihr kennt, gewichtiger. Will man so etwas wirklich?

Daher: Wer mit dem Gedanken spielt, nicht zu wählen, sollte lieber eine Proteststimme abgeben. Schaut euch den Stimmzettel an. Wenn ihr partout keine Ahnung/Lust/Motivation/… habt, wählt jemanden, dessen Namen euch gefällt. Dessen Parteiname euch sympathisch ist. Solange keine Parteien mit menschenverachtenden Ideologien gewählt werden, ist die Stimme dort am besten aufgehoben.

Des Weiteren ist nichtwählen ist vornehmllich ein Schichtenphänomen. Hauptsächlich wählen die bildungsfernen und finanzschwachen Schichten nicht. Also eigentlich gerade die Personen, die eigentlich besonders politischer Hilfe bedürften.

Zu guter Letzt schwächt jede Stimmabgabe extreme Parteien. Aus zwei Gründen: Erstens sind sie besser in der Lage, ihre Wählerschaft zu mobilisieren, zweitens partizipieren sie nur dann von der Parteienfinanzierung, wenn sie über 1% der abgegebenen Stimmen für sich behaupten können.

Nach Stimmung wählen ist sinnlos

Die Volksseele ist ein merkwürdiges Ding. Oft bildet sich ihre Stimmung aus der medialen Stimmung heraus – was gefährlich ist. „Was ist mit den Piraten?“, frage ich meinen Kumpel, als wir über konkrete Wahlalternativen sprechen. „Hm“, antwortet er zögerlich und weiß, dass er mir gegenüber eher reflektierte Meinungen äußern sollte, „ich weiß nicht. Sind die nicht alle so zerstritten? Das ist … hm … ja, das ist irgendwie das Letzte, was ich von denen gehört habe. Dass die zerstritten sind. Und sonst war es in letzter Zeit ja sehr ruhig. Trotz dieser ganzen Datenskandale!“

Erinnert sich noch jemand an die Stimmung vor vielen Monaten? Als die Piraten – die neuen Grünen, diese Visionäre, diese abgedrehten Nerds – bei 12% standen? Als der damalige Parteivorsitzende gefragt wurde, mit wem er sich eine Koalition vorstellen könnte? Als man keine Talkshow sehen konnte, in der nicht irgendein merkwürdiger, junger Mensch von den Piraten saß? Gibt’s die denn überhaupt noch? Na ja, irgendwer muss die Wahlplakate ja geklebt haben …

Dies, ihr Lieben, ist die Realität der Massenmedien. Das ist die Stimmung, die auch meinen Kumpel erfasst hat und der auf konkrete Nachfragen merkte, dass diesem Bild keine fundierte Ansicht – schon gar keine fundierte politische Sachlage – zugrunde lag, sondern eben nur eine bereits subtil festgeschliffene Meinung. Beschäftigt man sich ein wenig mit dem gezeichneten Bild, stellt man fest, dass es schlicht falsch ist. Besonders abstrus liest sich ein zwei Monate alter Artikel von Daniel Schwerdt, in dem vor allem die geschilderte Redaktionsreaktion traurig stimmt. Und … irgendwie auch belustigt.

Auch Steinbrück ist von Anfang an runtergeschrieben worden. Jede läppische Bemerkung ist aufgeblasen und tagelang durchs Dorf getrieben worden, bis man etwas Neues gefunden hat, was sich für diese Aufgabe lohnte.

Und zwischenzeitlich lag auch die FDP im Bundestrend bei 2–3%. Als man schon darüber spottete, dass die Liberalen ja eigentlich mit den in Balken der sonstigen Parteien aufgenommen werden könnten.

Hat sich seit diesen Zeiten, die alle gar nicht so lange her sind, so viel verändert? Es gibt noch eine Vielzahl anderer Beispiele, die alle nur folgende Aussage machen sollen: informiert euch! Sei es der Wahl-O-Mat, ein bisschen Recherche, Gespräche mit politisch interessierten Freunden, das Blättern durch Wahlprogramme, die Begutachtung der Antworten und Abstimmungsverhalten bei Abgeordnetenwatch oder eine Kombination daraus: Bildet euch eine aufgeschlossene Meinung, die nicht darauf beruht, was ihr gerade so „fühlt“ oder „glaubt“. Macht euer Wahlverhalten nicht davon abhängig, in welchem Status sich Deutschlands Willenbildung gerade befindet oder wer gerade klein- oder großgeschrieben wird. Denn natürlich ist auch das andere Extrem möglich. Für die Berliner Piraten war bei den letzten Abgeordnetenhauswahlen die 5%-Hürde ein realistisches, wenn auch ambitioniertes Ziel. Das damals phänomenale Ergebnis von 8,9% hingegen war letztlich schlichtweg auf den guten Willen der Medien zurückzuführen, die viel Aufmerksamkeit auf die orangefarbenen Flaggen richtete.

Wählt ruhig – und gerade! – die „Kleinen“

„Ich weiß nicht“, sagt mein Kumpel kleinlaut, „Die Linke will ich nicht wählen. Mit denen kann man derzeit doch gar nicht regieren. Gerade im Westen sind die doch unterwandert von so merkwürdigen linken Strömungen. Und bei den Piraten hab ich Angst, dass ich dann meine Stimme abgebe und die dann bei 4% stehen und meine Stimme umsonst war.“

Auch hier gibt es wieder eine Vielzahl verschiedener Argumente. Zuerst wieder das moralische: Will wirklich jemand lieber das „kleinere Übel“ als nach seiner Überzeugung wählen? Ansonsten trifft hier natürlich auch der erste Punkt zu, denn zumindest das Abwägen über die 5%-Hürde ist eine taktische Abwägung.

Darüber hinaus hat sich im letzten Jahrzehnt mein politisches Verständnis sehr gewandelt. Es geht tatsächlich nicht mehr darum, wen man gerne ins Kanzleramt bringen möchte, sondern darum, welche politische Richtung man dem Land geben möchte. Was das heißt? Ein Gedankenspiel: Nehmen wir an, die Piraten und die Linken erreichen jeweils 20% bei der nächsten Bundestagswahl, aber an den Regierungsparteien ändert sich nichts, da Rot-Grün ziemlich abgestürzt sind und der Verlust von Schwarz-Gelb nur dazu geführt hat, dass die Mehrheit im Bundestag lediglich zwei Sitze beträgt. Die Regierung wäre dieselbe – aber meint ihr wirklich, die Politik wäre es auch? Sicherlich nicht. Alleine aus Machterhaltungstrieb wären die zukünftigen Bestrebungen darauf ausgerichtet, die Kontrahenten wieder möglich klein zu halten. Vielleicht wäre der Überwachungsskandal nun doch ein größeres Thema und … wer weiß? Vielleicht gäbe es sogar einen moderaten Mindestlohn von 7,50 €? Natürlich ist das sehr vereinfacht und unsinnig-übetrieben dargestellt. Aber so funktioniert politische Willensbildung – vor allem unter der Regierung Merkel. Man versucht die Kontrahenten zu schwächen und ihre Themen zu entkräften, indem man diesen Positionen entgegenkommt. Wer die Linken wählt, will vielleicht gar nicht, dass Die Linke eine Regierungspartei wählt. Aber er ruft den Oberen ins Gedächtnis, dass die Sozialpolitik zu kurz kommt. Und gerade im Hinblick auf die nächsten Wahlen würde sich so eine Regierung sehr gut überlegen, ob man die gerade neu angedachten ALG-II-Gängeleien nicht vielleicht doch erstmal sein lässt. Auch das ist ein Wahlerfolg. Es ist Protest und politische Willensbildung – wenn auch nicht so medienwirksam.

Zum Schluss spielt auch ein finanzieller Aspekt eine Rolle. Stimmen bringen den Parteien Geld. Nicht nur abstrakt, sondern auch direkt über die Parteifinanzierung. Das bedeutet: Ohne nennenswerten Aufwand ist es möglich, für seine Überzeugung zu spenden.

Fassen wir zusammen: eine Stimme für eine kleine Partei bedeutet finanzielle und moralische Unterstützung der Sache, Protest und die Mitteilung des politischen Willens. Es ist nicht laut, nicht spektakulär und hat erstmal nur abstrakte Auswirkungen. Aber selbst unter der 5%-Hürde bleiben diese Vorteile noch vorhanden.

Parteiprogramme sind nicht alles

„Die Grünen könnte ich mir ja auch vorstellen, aber was die da mit dem Spitzensteuersatz vorhaben … Ich meine, der zieht schon viel früher, als man gemeinhin denkt. Da wären auch viele betroffen, die man nicht unbedingt als ‘reich’ bezeichnen würde.“

Die politische Kultur in Deutschland hat vor allem ein großes Problem: Jede Partei schreibt ihr Partei- und Wahlprogramm so, als gehörte ihnen nach der Wahl die Alleinherrschaft. Nach aktuellem Stand wird dies wohl keiner Partei vergönnt sein – schon gar nicht den Grünen. ;-) Daher ist es wichtig, das „große Ganze“ hinter den Programmen zu erkenne. Von welchem Menschenbild geht man aus? Wie wird man mit dieser Ideologie wohl auf neue Probleme reagieren? Wie wichtig sind einzelne Punkte und wie gnadenlos wird man um diese bei möglichen Koalitionsverhandlungen feilschen? Bei der letzten Wahl wollten die Grünen den Soli abschaffen und direkt in Bildung investieren. Wär wäre ihnen bei diesem Weg gefolgt? Bei den Piraten steht irgendwo das bedingungslose Grundeinkommen. Wer würde dies denn ernsthaft mittragen? Es finden sich immer einzelne Punkte, die einem missfallen – aber gerade bei großen und einschneidenden Veränderungen müssen diese auch gesellschaftsfähig sein. Und genau das spiegelt sich in der Wahl möglicher Koalitionspartner wider. Im Volkswillen.

Dies ist nicht für euch

Die meisten von euch, die diesen Text bis hierhin gelesen haben, werden wahrscheinlich nur bedingt betroffen sein. So, wie ich mit meinem Kumpel gesprochen und diskutiert habe, solltet auch ihr eure Gedanken mit den Menschen abseits des Netzes teilen. Denn wir „Netzmenschen“ ™ sind immer noch klar in der Unterzahl – und gerade bei den Nichtwählern ist es wichtig, ihnen die Mechanismen zu vermitteln, die dazu führen, dass auch niemand ein Interesse hat, ihnen eine Wahl schmackhaft zu machen, wenn sie nicht eben doch wählen.

In diesem Sinne: spread the word. Nicht unbedingt meins – sondern überhaupt politisches. Wenn ich ein paar Gedanken dazu beisteuern konnte: umso besser.

Von diesem Internet und der Liebe – ein offener Brief

Zwei Geschichten aus den sozialen Netzwerken sorgen in den letzten Wochen für Furore:

  1. Zunächst die Schilderung auf dem Blog von »Victoria Hamburg«, die im Internet »Kai« kennen gelernt hat, der sie über Monate manipuliert hat, um eine Beziehung mit ihr aufzubauen;
  2. dann [das] Blog kleines-scheusal.de, [das] zusammen mit einem Twitter-Profil entweder von einer PR-Agentur oder aber einem Mann betrieben wurde, der vorgab, eine junge Frau stünde hinter Blog und Profil.

Bei beiden Vorfällen spielen aufwändige Fakes eine große Rolle.

So beginnt der Blogpost von schulesocialmedia. Es ist eine gute Einleitung, um auch diesen Eintrag zu beginnen, auch wenn die folgenden Ausführungen eher in die entgegensetzte Richtung laufen, die dieser Beitrag verfolgen wird. Hier soll es auch nur um die erste Geschichte gehen – die Geschichte von Victoria. Den ausführlichen Text kurz zusammengefasst: Victoria verliebt sich in eine Person, die es nie gab. Als ich die Geschichte heute las, machte sie mich nachdenklich und betroffen. In einem Maße, dass ich eine Nachricht an Victoria schrieb. Kurz vor dem Abschicken der Nachricht, als mein Name schon darunter stand, fiel mir ein, dass ich diesen Text meinerseits ja auch öffentlich machen könnte – schließlich war dies einst doch der Dreh- und Angelpunkt der Blogosphäre: Interaktion.

Aus diesem Gedanken heraus – und weil aus der Nachricht ein kleines Plädoyer für Vertrauen und Liebe geworden ist, das sich auch für ein größeres Publikum eignet – kopiere ich die entworfene Nachricht uneditiert hierhin und mache damit einen öffentlichen Brief daraus.

Liebe Victoria,

wie wohl bei den letzten ganzen Rückmeldungen zuvor geht es in dieser um deinen Fake-Text. Beim Lesen habe ich oft genickt und verstanden, was da passiert ist. Denn mir ist genau das Gleiche wiederfahren – mit dem Unterschied, dass alles echt sowie aufrichtig war und in eine wunderbare Beziehung gemündet ist. Und das, wie ich während des Lesens festgestellt habe, mit sehr viel weniger „Beweisen“, als es bei „euch“ der Fall war. Bei uns lief es vom Reply zur DM zu WhatsApp. Keine privaten Instagram-Accounts und bei Facebook waren wir bis zum ersten Treffen überhaupt nicht befreundet. Freunde oder Freundinnen? Also … Accounts von diesen? Habe ich nie gesehen.

Bei uns waren die Orte Trier und Berlin. Zwar nicht so weit entfernt wie die USA, aber für zwei Studenten trotzdem eine ordentliche Strecke von 730km, die man nicht mal für ‘nen Tag hinter sich bringen kann. Letztlich habe ich mich auf viel weniger verlassen, als du gehabt hast und bin trotzdem nach vier Monaten intensiven Zeitvertreibs heruntergefahren. Miteinander telefoniert haben wir … vielleicht ein halbes Dutzend Mal. Und Treffen aufgrund von Prüfungen und Terminen auch vor uns hergeschoben. Post geschickt habe ich ihr in der Zeit 2x. Selbst bekommen keine. So gesehen … hätte ich wahrscheinlich gut ein ebensolcher Fake sein können. Sie natürlich auch, aber ich wahrscheinlich der „bessere“. Zumal sie bis dato genau ein Bild von mir bekommen hatte. Ein einziges.

Die wenigen Unterschiede, die ich sonst beim Lesen deiner Geschichte ausmachen konnte, war, dass wir uns nichts über unser Leben vorgeschrieben haben. Ansonsten … phew. An vielen Stellen habe ich den Werdegang unserer Beziehung wiedererkannt.

Aber warum schreibe ich das Ganze jetzt?

Erstens vielleicht, um dir Mut zu machen, auch wieder Vertrauen zu fassen. Das Ganze sitzt tief; ich kann es mir vorstellen. Aber die überwiegende Anzahl von Entitäten da draußen, die einem gefallen, ist es wert, ihnen auch zu vertrauen.

Zweitens, daran anknüpfend, hat mich das Fazit ein bisschen gestört, auch wenn es in deiner Situation mehr als verständlich ist.

Denn viele Punkte sind dabei sehr restriktiv. „Achtet darauf, mit wem ihr kommuniziert“, „trefft euch schnell“, „seid misstrauisch“, „passt auf, was ihr preisgebt“. Es ist der erhobene Zeigefinger. Derart, wie ihn meine Mutter mir auch stets gezeigt hat. Seit ich dreizehn bin chatte ich. Ich habe mich mit vielen Leuten getroffen. Mit den meisten heimlich. Damals konnte ich meiner Mutter kaum erzählen, dass ich mich mit Menschen aus diesem Internet treffe. Das könnten doch alles fünfzigjährige Männer sein, die Kinder verschleppen! Letztlich entpuppte sich jeder von denen als die Art von Mensch, für die ich sie auch gehalten habe (mit vielleicht einer halben Ausnahme, eines sehr netten, jungen Mannes, der sich bei persönlicher Betrachtung jedoch als ziemlich rechtslastig erwies, was ich so nicht erwartet hatte).
Auch von meiner Twitter-WhatsApp-Beziehung konnte ich ihr nichts erzählen. Selbst hinterher, nachdem das Treffen schon durch und die Beziehung quasi offiziell war, mahnte sie noch, dass das auch alles hätte Lug und Trug sein können. Sowas sehe man schließlich „ständig“ im Fernsehen.

Ganz ehrlich, ich weiß nicht, wo ich mit dieser Beziehung gelandet wäre, wenn ich mir deinen Text vorher intensiv durchgelesen und mitgefühlt hätte. Und genau das ist wahrscheinlich der Punkt, der letztlich den Ausschlag zu diesen Zeilen gab. Misstrauen, Zweifel, ständiges Hinterfragen – das alles gehört für mich nicht zur unbekümmerten Kommunikation. Und schon gar nicht zur Liebe.

Das, was dir passiert ist, ist grausam. Aber es ist dieser eine – und das mein ich nicht böse, versteh’s bitte nicht falsch – Akte-2013-Fall, den Menschen wie meine Mutter sehen und dann für das gesamte Internettreiben halten. Ihre Mutter übrigens auch (Dialog vorher: „Er soll in einem Hotel schlafen! Was, wenn es ein Mörder ist?“
„Dann ermordet er mich trotzdem – egal, wo er schläft.“)

Worauf ich wohl hinaus will: Es wäre schade, wenn anderen Menschen dieses Glück, das mir zuteil wurde (und für das ich außerordentlich dankbar bin), dieses Glück, von dem du dachtest, es sei auch dir zuteil geworden … wenn dieses Glück anderen Menschen versagt bliebe, weil sie durch Fälle wie diesen zu skeptisch, zu misstrauisch geworden sind. Schließlich ist sowas auch nicht immer eine bewusste, nicht immer eine rationale Entscheidung. Die ersten Gespräche, die noch nirgends hinwollen, die keine bewussten Annäherungen oder gar Flirts sind, basieren schließlich maßgeblich auf Vertrauen. Und meines Ertrachtens gibt es heute schon eher zu wenig als zu viel davon.

Ich hatte vor heute noch nichts von dir gehört, habe deine Tweets nicht verfolgt und auch deine anderen Postings nicht gelesen. Dennoch vertraue ich erstmal darauf, dass das, was da steht, authentisch ist. Denn es ist dieser Vertrauensvorschuss, der die Interaktion im Netz erst mit Sinn erfüllt.

Der einzige Tipp, der – und ich nehme wider besseren Wissens an, dass das zumindest zum Teil symptomatisch für solche Fälle ist – aus meiner Sicht wirklich wichtig ist, ist das Nichtmanipulierenlassen, das Nichtisolierenlassen. Denn egal, ob offline oder online: Liebe und Beziehung bedeuten nicht Verzicht und Vorschriften, sondern Entfaltung und Wachstum.

In diesem Sinne wünsche ich dir für deine Zukunft einen Partner an deine Seite, mit dem du genau dies erfahren lasst. Egal, auf welchem Weg ihr letztlich zueinander findet.

Liebe Grüße

Sven

Sneak Review: ‘The Company You Keep – Die Akte Grant’

Mit einer Verspätung aus der letzten Woche: The Company You Keep ist ein Film mit fabelhaftem Plot, überzeugenden Schauspielern, einem guten Soundtrack und schönen Dialogen. Was ihm fehlt, um sofort in höhere Filmkunstregionen zu schießen, ist schlichtweg ein strafferer Spannungsbogen. Ich mag Filme, die sich Zeit lassen. Die Szenen ausspielen. Vieles funktioniert dabei auch sehr gut. Die Hinweise und Anreichungen kommen einigermaßen subtil daher, der Story-Verlauf ist nicht allzu vorhersehbar und ohnehin klare Sachverhalte werden nicht nochmal explizit ausgesprochen. Man fühlt sich als Zuschauer ernstgenommen. Jedoch mangelt es schlichtweg an spannenden Schlüsselszenen. An Querelen, die länger als eine halbe Minute dauern. In denen man mitfiebert. All dies bietet der Film leider nur ansatzweise, so dass das Grundtempo sehr langsam daherkommt und den Spannungsbogen dadurch allzu oft strapaziert. Das macht den Film noch lange nicht schlecht, ist aber insofern schade, als dass dadurch viel Potential für ein wirklich tolles Filmerlebnis schlicht vergeben wurde und daher einen eher enttäuschenden Nachgeschmack hinterlässt.

Fazit: Ein ansehnlicher Film mit vielen – oben genannten – Stärken, die aber leider nicht in Gänze genutzt werden: 6,5 / 10 Punkte.


Kinostart: 25. Juli 2013

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Review: Man of Steel

Fast genau vor drei Jahren saß ich mit einem Kumpel zusammen und lernte für Prüfungen. Es war ein schöner Sommertag und wir gönnten uns zwischendurch eine Pause, in der wir nach draußen gingen und herumspazierten. Irgendwann kamen wir auf die Ankündigung eines neuen Superman-Films zu sprechen und gerieten ins Diskutieren. Eigentlich waren wir uns einig: Auch, wenn ich in meiner Kindheit gerne ‘Superman – Die Abenteuer von Lois & Clark’ gesehen hatte (heute kann ich mich an so ziemlich nichts mehr davon erinnern), ist der Charakter zu langweilig gestaltet. Unverwundbar, kann fliegen, nahezu unendlich stark, Hitzeblick, Röntgenblick, tolles Gehör … Ähm, ja. So richtig Neues könne man doch da nicht herausholen. Und trotzdem. Der Zweifel blieb – vor allem bei mir. Als großer Fan der Werke von Christopher Nolan war mir die Ankündigung, dass er seine Finger mit im Spiel hatte, Grund genug, dem Film doch eine Chance zu geben. Als ich ein wenig recherchierte, stieß ich auf Äußerungen, die ungefähr aussagten, dass Nolan das Skript gelesen habe und den Ansatz derart interessant fand, dass er mitwirkte. Nolan fand das Skript interessant? Es bestand tatsächlich Hoffnung. Als dann auch noch Zack Snyder als Regisseur angeheuert wurde, den ich für seinen Watchman-Film ebenfalls sehr schätze, waren sowohl Interesse, Neugier und Spannung geweckt. Der Film musste angesehen werden – egal, was für ein Werk dabei entstünde.

Seitdem ist viel Zeit vergangen, aber das Interesse nie wirklich verflogen. Und nun ist der Abspann über die Leinwand gelaufen. Mit welchem Ergebnis?

Erstmal bleibt festzuhalten, dass ich viele Arten von Filmen erwartet habe – und trotzdem sehr überrascht wurde. Snyder wählt sehr klassische Motive, die er allerdings unorthodox verwendet und zusammenfügt. Zu schnell geht die Charakterzeichnung, zu rasant die Konfrontation von Superman und der hartnäckigen Journalistin Lois Lane. Episoden, die einen gesamten Film hätten füllen können, werden jeweils in verhältnismäßig wenigen Minuten über die Leinwand geschoben und das Potential für eine längere Superman-Filmreihe, in der sowohl Abenteuerfilme als auch Thriller ihre Vernwendung gefunden hätten, werden quasi im Vorbeigehen übergangen. Zu oberflächlich ist die Beziehung von Chefredakteur Perry White zu der rebellischen Lois. Zu simpel und unsubtil die Behandlung der Frage, wie ein Superman in diese Welt passt.

In der Theorie.

Denn – für mich selbst ein wenig erstaunlich – bleibt festzuhalten: Es funktioniert. Und zwar richtig gut. Der Film wirkt erfrischend anders, die Zeichnung des Charakters Clark Kent gelingt ohne Längen und trotz der vielen Reduktion wirkt der Film nicht nur kurzweilig, sondern trotzdem auch voller Substanz. Es geht um eine Person, die ihren Platz in der Welt nicht ausmachen kann und sich schwer tut, ihn zu finden.

Die Konfrontation im zweiten Teil gestaltet sich da schon etwas schwieriger. Supermanwürdig fällt sie monumental aus: Nicht weniger als die gesamte Menschheit ist bedroht. Es geht nicht etwa darum, wie es dem omnipotenten Superheld gelingt, möglichst viele Menschen eines abstürzenden Flugzeugs zu retten – sondern, ob es ihm gelingt, die gesamte Welt vor der Zerstörung zu retten. Dabei geht es Schlag auf Schlag. Auch der Actionteil ist wunderbar kurzweilig und technisch einwandfrei inszeniert, allerdings nicht mehr so erfrischend und teilweise ideenlos. Denn sobald die Katze aus dem Sack ist, offenbart sich das ursprünglich angesprochene Problem mit dem Superman: Er ist zu stark. Viele Kampfszenen erinnern an ‘Matrix Revolutions’: Die Kontrahenten prügeln sich durch Häuserwände und luftige Höhen, ohne sichtbaren Erfolg zu erzielen. Gebäude und halbe Städte gehen durch die Faustgefechte zu Bruch. Zerstörung überall. Nicht nur deshalb frage ich mich persönlich, wie Warner mögliche Fortsetzungen gestalten möchte. Viel Luft nach oben ist für den Man of Steel jedenfalls nicht mehr vorhanden.

Was bleibt also nach Genuss des Filmes, auf den ich mich nahezu drei Jahre gedulden musste? Ich wurde durchgehend gut und kurzweilig unterhalten, ein klein wenig von der Geschwindigkeit der Einführung enttäuscht und von einem spannenden Actiongewitter einerseits überwältigt, aber andererseits wenig überrascht. Auch wenn es Snyder nicht gelungen ist, ein filmisches Meisterwerk zu erschaffen, ist der Mann aus Stahl ein mehr als gelungener Reboot: ein spannender, kurzweiliger sowie actiongeladener Superheldenfilm mit ordentlichem Tiefgang, einem kleinen, auflockernden Anteil Witz und einem erstaunlich konsistent gezeichneten Widersacher in einem liebevoll ausgestalteten Filmuniversum.

Insgesamt erhält der Film von mir daher vielleicht ein bisschen zu gnädige 8/10 Punkte.

Review: ‘Hangover 3’

Einer Quasi-Tradition geschuldet sah ich am Wochenende zu meinem Geburtstag den dritten und wohl letzten Teil der Hangover-Filme.

Das Finale der Filmriss-Trilogie verzichtet leider (leider, leider!) auf eine Neuauflage des alten Konzepts. Stattdessen holt das Wolfsrudel die Vergangenheit ein, der sie sich plötzlich stellen müssen. Als Handlanger und Spielball zwischen Gangsterboss und dem alten Bekannten „Mr. Chow“ findet man die Protagonisten plötzlich in einer Situation in wieder, in der man sie eigentlich gar nicht sehen will.

Meine Erwartungen waren – zugegeben – hoch: Ich rechnete mit einem furiosen, vollkommen überdrehten, weltfremden Megafilmriss, der – hollywoodtypisch – versucht, die Vorgänger an Derbheit und Kuriosität zu überbieten. Davon gab es leider gar nichts. Stattdessen sah ich plötzlich eine belanglose Gangster-Komödie wieder, in die die bekannten Gesichter nahezu unverschuldet verstrickt wurden. Das Ganze schmerzt umso mehr, weil als letzte Szene, nach Beginn des Abspanns, ein solcher Filmriss angedeutet wird. Nachdem der eigentliche Film vorbei ist, wachen die Jungs mal wieder auf und finden sich im puren Chaos wieder. Einem Chaos, das vollkommen überdreht, furios und unrealistisch daherkommt. Diese Szene zeigt eindrucksvoll, wie viel Potential in dem Franchise steckte, wie es schlicht verschenkt wurde und dass die Neuauflage des Konzepts auch noch ein drittes Mal funktioniert hätte.

Fazit: Stattdessen ist ein Film entstanden, der zwar ganz lustig ist, dessen Gangsteranteil allerdings nicht raffiniert genug und dessen Comedyanteil nicht spritzig genug herüberkommt. 6 / 10 Punkte.

Unter diesen Umständen wundert es mich im Nachhinein wenig, dass ich vorher keinen Trailer zu diesem Film gesehen hatte. Schade.


Kinostart: 30. Mai 2013

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Sneak Review: ‘Olympus Has Fallen’

Nachdem ich mit den letzten Sneaks sowohl mit den Genres als auch den Filmen kein sonderliches Glück hatte, freute ich mich zu Beginn des Films über das, was sich mir darbot. Gerard Butler! Oh, Morgan Freeman! Action! Yeah!

Das war’s dann leider fast auch schon. Olympus Has Fallen bietet eine Vielzahl guter und imposanter Actionszenen. Kaum mehr. Die Zusammenhänge des Film wirken einigermaßen konstruiert, während jede Logiklücken damit beschäftigt ist, die nächste zu jagen. Gerard Butler versucht, in die Rolle eines Stirb-Langsam-Bruce-Willis zu schlüpfen, was zwar zeitweise einigermaßen gut und durchaus mit eigenem Stil gelingt, dem Film jedoch selten wirklich gut steht. Die Kampfchoreografien wirken nicht sonderlich spritzig, die Sprüche zu unpassend cool, der Film an sich zu pathetisch und schlussendlich werden zu viele monumentale Versuche geführt, die in der Form leider nur teilweise aufgehen.

Fazit: Zum Schluss bleibt ein technisch gut umgesetztes Action-Erlebnis, dessen Spannungsbogen zwar vorhanden, aber nicht überspringend ist und auch sonst zu wenig bietet. 4 / 10 Punkte.


Kinostart: 13. Juni 2013

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Sneak Review: ‘The Big Wedding’

Mit einiger Verspätung mein Kommentar zur gerade gestarteten Komödie The Big Wedding. Nach Das hält kein Jahr … ! war es erneut eine gesneakte romantische Kömodie, die allerdings einiges besser machte.

Beide Teile, der romantische und der lustige, werden gut bedient und erhalten ihre Momente. Der aufgefahrenen Schauspieler-Riege gelingt es zudem, das Ganze mit einer gewissen Dynamik und Spritzigkeit zu versehen. Nichtsdestotrotz krankt der Film an genretypischen Problemen. Die größeren Witze sind meist vorhersehbar und bieten kaum Neues. Die gezeichneten Charaktere sind zu speziell, um eine Identifikation mit ihnen möglich zu machen, worunter auch der romantische Anteil des Films leidet.

Durch die zahlreichen Altstars und ein paar gut gesetzte Pointen bleibt die Katastrophe aus. Hin und wieder wird geschmunzelt, ab und zu fühlt man ein bisschen mit den Charakteren mit. Aber schlussendlich gelingt es dem Film dennoch nicht, vollständig zu überzeugen, so dass er kurz unter der Schwelle zur Unterhaltsamkeit landet und dort verbleibt.

Zumindest für jemanden wie mich, der mit romantischen Kömodien prinzipiell nicht allzu viel anfangen kann. 4,5 / 10 Punkte.


Kinostart: 30. Mai 2013

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Sneak Review: ‘Evil Dead’

Vorab: Ich bin kein sonderlicher Fan von Splatterfilmen. Jedoch ist dies fast das Einzige, was Evil Dead wirklich auszeichnen kann.

(Der folgende Teil enthält einige kleinere Spoiler)

Fünf junge Menschen in einem Waldhaus finden ein Buch, lesen ein paar Worte daraus vor und beschwören somit eine bösartige Macht herauf, die sich gleich von Beginn an zeigt und die Freunde auf sadistische Art und Weise langsam in seine Gewalt bringt. Dabei scheut sich der Film nicht davor, viele Horrorfilmklischees mitzunehmen. Inklusive der dämlichen Frau, die alleine zur bösen Macht in den Keller steigt, sobald sie die Gefahr für gebannt hält. Oder dem begriffsstutzigen Protagonisten, der das plötzliche Heraufbeschwören von Wind und Wetter gepaart mit gruselig-fremden Männerstimmen für einen Virus hält. Erstgenannter Dame gelingt es später auch, sich in aufregend hoher Geschwindigkeit die Armknochen zu zersägen – mit einem elektrischen Bratenschneider.

Nachdem sich Teile des Kinopublikums schon früh zu Beginn verabschiedeten, trat der Rest die Flucht nach vorne an und lachte über die teils absurden Szenen, die über die Leinwand flimmerten. Andere Szenen muteten tatsächlich kurzweilig an, während der Soundtrack eigentlich durchgängig überzeugen konnte – was man von den Protagonisten leider nicht behaupten kann. Das wäre allerdings zu verschmerzen, böte der Film wenigstens einen ordentlichen Spannungsbogen. Stattdessen hangelt sich der Film im großen Mittelteil von einer Ekel/Schocker/Splatter-Szene zur nächsten, ohne sich um Logiklücken, den inflationären Gebrauch von Filmblut oder um Charakterzeichnung zu scheren.

Fazit: Insgesamt verbleibt ein teilweise unfreiwillig komisches, an manchen Stellen kurzweiliges, aber insgesamt langweiliges und vorhersehbares Splatterfilmerlebnis mit gutem Soundtrack. Wer Spaß an Splatterfilmen hat, wird dem Film wohl noch etwas mehr abgewinnen können als ich. Für mich verbleiben jedoch ernüchternde 3/10 Punkte.


Kinostart: 16. Mai 2013

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Sneak Review: ‘Ohne Gnade’

Letzte Woche hatte ich den Trailer zu Ohne Gnade in der Vorschau gesehen. Als gestern plötzlich Helge Schneider auf der Leinwand erschien, ahnte ich schon, dass das Ganze kein filmischer Hochgenuss werden würde. Ich mache es daher kurz: Schaut euch den Trailer unten an, denn dieser vermittelt einen kleinen Eindruck des Grauens, das den Zuschauer erwartet.

Ohne Gnade ist ein vollkommen überproduzierter Film, dessen Cast durch die Bank weg versagt und dessen gesamte Umsetzung irgendwo zwischen bescheuert und infantil zu verorten ist. Einzig der Plot und der Score lassen gewisses Potential erahnen, das aber durch die grotesk beschissene Darbietung, deren Humor sich beinahe durchgängig auf Fremdschämniveau befindet, restlos zerschossen wird.

Fazit: Tut euch das nicht an! Und falls ihr dennoch vorhabt, diesen Film anzusehen, seht zu, dass ihr berauschende Mittel dabei habt. Unter solchen Umständen könnte ich sogar durchaus spaßiges Potential erkennen. 2 von 10 Punkten.


Kinostart: 2. Mai 2013

Trailer

Sneak Review: ‘Smashed’

Smashed ist ein technisch einwandfrei inszeniertes Drama, das vor allem durch seine Hauptdarstellerin besticht. Es nimmt sich selbst nicht zu ernst, bietet Humor an, wo es angebracht ist und führt den Zuschauer gut durch die Handlung.

Dass es dem Film dabei an Ecken und Kanten mangelt, dass der Plot jederzeit ziemlich vorhersehbar ist, dass die meisten Probleme nur recht oberflächlich behandelt und auch nicht alle einzeln aufgelöst werden, sind alles Dinge, die den Film von einem großen Werk unterscheiden. Nichtsdestotrotz trägt sich der Film die ganze Zeit selbst, ohne dabei langweilig zu werden und zeichnet ein interessantes, wenn auch nicht sonderlich überraschendes Bild einer Alkoholkranken, die ihren Weg aus den Fängen des Alkohols zu finden versucht.

Fazit: Für mich weniger ein Film fürs Kino als vielmehr für einen bewölkten Couch-Nachmittag. Nichtsdestotrotz sehenswert: 6,5 von 10 Punkten.


Kinostart: 9. Mai 2013

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Sneak Review: ‘Side Effects’

Gestern startete der Film Side Effects (Originaltitel: The Bitter Pill) in den deutschen Kinos. Vielleicht ein Grund, meine Meinung dazu aus der Sneak Preview kundzutun und das Blog hier mal wieder zu nutzen. :)

Selten hat mich ein letzter Zeit ein Film so ratlos zurückgelassen wie Side Effects. Ich und meine Begleitung schauten beide mit einem Schulterzucken den (sehr kurzen) Abspann: „Irgendwas hat da gefehlt.“

Side Effects bietet ohne Zweifel einen sehr interessanten Plot. Es bedient sich der richtigen Elemente, aber fügt sie zu ungeschickt zusammen. Der Film kann sich zu oft nicht entscheiden und schafft es nicht, für irgendwelche der Figuren wirkliche Sympathie zu erzeugen. Was das heißt? Ungefähr 60% der Laufzeit dachte ich „Für ein Drama fehlt da einfach was“, bis sich plötzlich das Tempo steigerte. „Oh, doch eher ein Thriller. Aber dafür hat der Film doch jetzt gar keine Zeit mehr?“ Und so kam es.

Der Film nimmt sich zu oft an den falschen Stellen  Zeit, um dann wichtige Elemente binnen weniger Minuten nur anzureißen. So gelingt es nicht, Sympathieträger aufzubauen und auch die richtige Stimmung will sich nicht einstellen. Dies kann unter Umständen auch fehlender oder falscher musikalischer Untermalung geschuldet sein – aber das ist nur eine Vermutung, die ich im Nachhinein nicht mehr bestätigen kann.

Schauspielerisch überzeugt eigentlich nur Rooney Mara. Jude Law wirkt eher dröge, was seinem Charakter nicht wirklich gut steht. Auch Catherine Zeta-Jones macht in ihren wenigen Szenen einen eher hölzernen Eindruck. Im letzten Drittel zieht Side Effects nochmal an und wird besser. Der Plot wird zwar spannender, aber die Zeit reicht schlicht nicht mehr, um nochmal ernsthaft Spannung zu erzeugen. Zu schnell und zu linear wird die Handlung plötzlich dargebracht.

Fazit: Raffinierter inszeniert könnte Side Effects durchaus Akzente setzen. In dieser Form ist er allerdings weder Fisch noch Fleisch, will zu viel zugleich sein und unterhält damit zu wenig. 4 von 10 Punkten.

Frisch gelesen: „Sitzen vier Polen im Auto“

Prolog

Neulich fragte mich meine Schwester, was ich an diesem Twitter eigentlich so interessant fände. Abgesehen von großartigen Tweets, interessanten Dialogen und grandiosen Menschen, mit denen man – zufällig oder beabsichtigt – ins Gespräch kommt, ergeben sich dort auch immer wieder kurzfristige Gelegenheiten. Im vergangenen Monat war eine davon, als @silenttiffy kurzfristig ausgewählte Rezensionsexemplare anbot.

Tatsächlich kam ich so, etwas überraschend, zu einem persönlichen Exemplar des Buches Sitzen vier Polen im Auto von eben jener silenttiffy – bürgerlich Alexandra Tobor.

Rückblende

Zur Einordnung: In letzter Zeit habe ich neben Sachbüchern eigentlich nur Fantasy- und Science-Fiction-Literatur gelesen. Meine letzten Bücher außerhalb dieser Genres liegen mittlerweile schon wieder einige Zeit zurück.

Von Alexandras Buch habe ich, gerade auf Twitter, immer wieder gehört. Gekauft hätte ich es aus eigenem Antrieb wohl trotzdem nicht. Nicht, weil mich das Feedback unbeeindruckt ließ, sondern vorrangig deswegen, weil ich durch einen Kaufrausch im letzten Jahr und mehrere Geschenke ca. 30 ungelesene Bücher im Regal zu stehen habe, die von dort vorwurfsvoll auf mich niederblicken. Nichtsdestotrotz habe ich mich über den Ausblick auf thematische Abwechslung sehr gefreut und war gespannt, was mich erwarten würde.

Der Plot

Das Buch erzählt die Geschichte des kleinen polnischen Mädchens Ola*, das auf eine fremde, reizvolle Welt aufmerksam wird: die verheißungsvolle BRD. Als mystische Welt, in der es Spielzeug, Coca-Cola-Dosen und Capri-Sonnen-Tüten gibt, präsentiert sich die Bundesrepublik dem ausländischen Mädchen über Versandhauskataloge und Erzählungen als eine Art Paradies, in das ab und zu jemand aus Polen rausfährt. Schließlich sind die Reize des Landes, das ich seit Geburt mein Zuhause nenne, auch für die Familie der kleinen Ola verlockend genug, um eine Auswanderung in Betracht zu ziehen. Und sie letztlich durchzuführen.

Die Geschichte der Anbahnung, der Auswanderung und des anfänglichen Lebens in Deutschland erfahren wir dabei durch die Augen des lebensfrohen, zu Beginn des Buches 5-jährigen, Mädchens, die uns in vielen Episoden und Anekdoten erzählt wird. Dadurch lernen wir Ola, ihre Bedürfnisse sowie ihre kindlich-naive Sicht auf die Welt immer besser kennen und erleben mit ihr die Alltagsabenteuer des großen Unterfangens Auswanderung im Speziellen und des Abenteuers Leben im Allgemeinen.

Das Buch

Schon zu Beginn fallen Alexandras geschliffenen Sätze und die blumige Ausdrucksart auf. Man merkt dem Text schnell an, dass sich in seiner Entstehung sowohl Arbeit als auch Gedanken vereinen. Die Szenerien werden ausführlich, bildlich und liebevoll beschrieben und die Menschen mit allerhand Vergleichen versehen.

Nichtsdestotrotz ist das Buch sehr fokussiert. Die Autorin verzichtet auf so gut wie jede mögliche Ausfransung. So bleiben beispielsweise die bürokraitschen Vorgänge um die Auslandspapiere vollkommen unerwähnt – was zwar ebenfalls interessant wäre, aber aufgrund der Perspektive auch nur konsequent ist, da die kleine Ola darin wenig Einblick hat.

Ebenso werden aber auch die Sprachebenen nicht immer klar benannt. Dadurch ist einerseits nicht immer ganz klar, welche Sprache die Charaktere gerade miteinander sprechen, andererseits wird nur manchen Charakteren ein Akzent gegönnt. Interessant muten insbesondere zwei Oberschlesier an, deren Akzent sich so liest, wie wir vielleicht einen polnischen Akzent im Deutschen zu Papier bringen würden.

Das, was man vielleicht mangelnden Tiefgang nennen könnte, tut der Geschichte ansich jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil: Der Fokus liegt klar auf der Handlung, den Charakteren und deren Vorankommen. Dies sorgt dafür, dass sich das Buch unkompliziert, aber dennoch nicht belanglos liest. Ola nimmt uns behutsam an die Hand und führt uns hinter sich her – durch Erlebnisse, Anekdoten, Geschichten und ihre Gefühlswelt. Was meistens sowohl spannend als auch unterhaltend daherkommt.

Abseits dessen ist das Buch jedoch auch aus einem anderen Grund reizvoll: der Kultur. Das Buch zeigt unkompliziert und ohne Zeigefinger, wie und worin sich zwei benachbarte Länder und ihre Kulturen unterscheiden können. Denn abseits der verschiedenen Sprachen, leerer Kirchen, Wassereis und Haribo zeigt sich dabei insbesondere immer wieder der unserem Land innewohnende Wohlstand, den man aufgrund seiner Allgegenwärtigkeit kaum noch wahrnimmt.

Dem Buch gelingt es somit, eine interessante Geschichte zu erzählen und den Horizont des Lesers potentiell ein wenig zu erweitern. Etwas, wofür zumindest ich immer dankbar bin. :)

Der Titel

Da man um dieses Thema schwerlich herumkommt, noch ein paar Worte zum vielbesprochenen Titel. Das Feedback, das ich vor dem Lesen des Buches wahrgenommen hatte, sprach von einem lustigen Buch. Einem Buch, bei dem viel gelacht wurde. Zusammen mit dem Titel erwartete ich daher eigentlich ein Buch voller Klamauk mit hoher Gagdichte, fand diese jedoch nicht vor.

Wie bereits beschrieben ist Alexandras Stil recht locker und unverkrampft. Viele der geschilderten Situationen beinhalten Charaktere, die ziemlich eigen sind und daher oft zu einer durchaus gewollten Situationskomik beitragen. Nichtsdestotrotz fallen die Anekdoten nicht belanglos aus. Sie dienen vornehmlich dem Fortgang der Handlung – wenn auch auf eine Art, die sich gut liest und immer wieder ein Lächeln hervorruft. Große Lachanfälle sind beim Lesen für mich ausgeblieben und einer allgemeinen Erheiterung über viele der interessanten Geschichten gewichen.

Auch wenn ich mir sicher bin, dass Andere über die Figuren herzhaft lachen können, wird der Titel einer rührenden Geschichte um ein Mädchen, das mit ihrer Familie die Heimat hinter sich lässt, sicherlich nicht gerecht. Aber selbst, wenn damit niemand so recht glücklich sein kann: Am Ende ist der Inhalt natürlich gewichtiger als das Deckblatt.

Fazit

Die entscheidende Frage am Ende muss wohl lauten: Hätte ich das Buch auch so gekauft?

War ich anfangs noch skeptisch über die Erzählweise und die Thematik, gewöhnte ich mich doch recht schnell an die blumig-geschliffene Sprache und den Blick eines kleinen polnischen Mädchens auf ihre Umwelt. Nach ein paar Kapiteln stellte ich fest, dass ich mich über das Verhalten mancher Charaktere wunderte – nur um zwei Sätze später festzustellen, dass sich auch Ola darüber wunderte. Der Moment, in dem der Funken übersprang, war schleichend gekommen. Immer mehr wandelte sich das Buch zu einem interessanten Roman über die Alltagsabenteuer eines kleinen Mädchens und zeitgleich zu einem interessanten Blick auf eine Kultur, die uns ganz normal, aber anderen vollkommen fremd scheint.

Am Ende steht für mich damit eine klare Kauf- und Leseempfehlung für jeden, der sich für die dargelegten Stärken begeistern kann. Ich persönlich war froh um die kurzweilige, unterhaltsame und dennoch auch lehrreiche Pause zwischen Raumschiffen und Zauberern, in der ich mich letztlich mit nicht weniger spannenden Abenteuern beschäftigen konnte. :-)


* Ola ist der (polnische) Rufname der Protagonistin, die ebenfalls Alexandra heißt. Im Folgenden bleibe ich für die Romanfigur bei diesem Namen.

Selbstreferenz: Digitaler Text

Im Februar wurde ich von der Redaktion der kulturwissenschaftlichen Publikation fusznote der Bochumer Ruhr-Universität angesprochen. Dort hatte man meine Arbeit zum Diskurs zwischen YouTube und der GEMA gelesen und war offensichtlich überrascht darüber, dass die Informatik – als unverständliche Voodoo-Mathematik-Maschinenraum-Wissenschaft ;-) – auch Implikationen in Gesellschaft und Kultur hat. Aus der Anfrage, ob ich einen interdisziplinären Artikel schreiben wolle, der genau diese Brücke zwischen Technik und der Kultur schlägt, entsprang schließlich ein Artikel über den Text, die Geschichte seiner Digitalisierung und dessen Nachwirkungen bis heute.

Der Artikel ist mittlerweile online auf der Homepage der fusznote in der vierten Ausgabe (S. 14-15) einzusehen. Wer an aktueller Kultur – insbesondere Literatur – interessiert ist, wird dort sicher auch noch weitere interessante Artikel finden können. Ab Ende Juni wird dann auch die gedruckte Version in Bochum erhältlich sein.

Kino: Moonrise Kingdom

Gestern habe ich nach Men in Black III und Der Diktator die dritte Preview innerhalb einer Woche besucht: Moonrise Kingdom. Ich hatte mich vorher nicht mit dem Film beschäftigt und kannte auch die Filme von Wes Anderson nicht. Lediglich den Cast hatte ich mir angesehen und dachte, mit Edward Norton, Bruce Willis, Bill Murray und Harvey Keitel könnte man nicht viel falsch machen – erwartet hatte ich daraufhin jedoch eine andere Art von Film, als die, die ich vorfand.

Anderson beschreibt mit auffälliger Hingabe und großartigem Soundtrack eine Liebesgeschichte zweier Kinder, die in ihrer jeweiligen Umgebung Sonderlinge darstellen – was besonders deshalb merkwürdig anmutet, weil die Geschichte auf einer beschaulichen Insel spielt, die beinahe ausschließlich von Sonderlingen bevölkert zu sein scheint. Der Film kommt dabei erstaunlich gut ohne Kitsch aus und füllt diese Lücke mit einem ungreifbaren Etwas, das wahrscheinlich am besten mit „Kunst“ beschrieben werden kann: Die gezeigte Welt wirkt nur zu 90% real und beinhaltet Stilmittel, die teilweise ein wenig an Theater erinnert. Der Rest des Films wird durch (teilweise bitteren) Humor und Situationskomik gestaltet, die aber nie in Klamauk und Albernheit abdriften.

Dieses etwas skurrile Schauspiel wird durch Originalität und Eigenwilligkeit begleitet, die sich sowohl in der Szenengestaltung als auch im Cast, dem Soundtrack und der Kameraführung widerspiegelt. Besonders die beiden Protagonisten, beides Kinder, machen sich wirklich gut.* Ihre Charaktere charakterisieren auch gleichzeitig den Film: pragmatisch, stur und liebenswert, skurril und bezaubernd.

Insgesamt ein wunderschöner Film, den ich irgendwo bei 8,5 von 10 Punkten verorten würde und der auch an Komik die beiden alberneren Filme Diktator und MiB locker in die Tasche steckt.


* Ich habe den Film in der Originalversion gesehen und bin mir nicht sicher, wie die Kinder lokalisiert wirken – Kindersynchronisation ist für gewöhnlich leider ein Problem der deutschen Synchronisation. Ansonsten ist das gesprochene Englisch aber sehr gut verständlich und der Film daher auch in der Originalversion ohne Weiteres zu empfehlen :)

Gemeinsame Gegenspieler

Am Montag war ich bei der Deutschlandpremiere von Men in Black 3. Ein großes Event mit – nach Veranstalterangaben – ca. 7.000 Menschen. Schon vorher twitterte ich über den unsinnigen Vermerk auf der Eintrittskarte:

Tatsächlich hatte ich jedoch angenommen, dass es aus rationalen Gründen harmloser ablaufen würde, als es die Karte vermuten ließ. Doch die Realität spottete jeder Beschreibung.

Der Weg hinein

Es ist früher Abend, meine Begleitung und ich stehen am Eingang der o2 World, vor dem sich bereits die Gäste sammeln. Schließlich öffnen sich die Tore, eine ganze Reihe Securitymenschen versperrt sie wieder und es werden an allen Eingängen einzeln Personen durchgewunken. Von der Sicherheitsfachkraft, die uns schließlich vorbei lässt, werden wir direkt in die Obhut von weiteren Kollegen gegeben, die uns auffordern, unsere Taschen zu leeren und uns anschließend abtasten. Tatsächlich müssen alle technischen Geräte – Mobiltelefone, MP3-Player, sogar Kopfhörer! – abgegeben werden. Zu diesem Zweck werden wir von dieser abtastenden Security an eine beaufsichtigende Security weitergereicht, die uns zur nächsten Schlange leitet, an der wieder warten. Weiteres Sicherheitspersonal ist hier emsig bemüht, alle Gegenstände einzutüten, Nummern dranzutackern und diese Nummern auszugeben. Wir erhalten also drei Kärtchen und dürfen uns, sämtlicher Digitalität beraubt, endlich frei im Gebäude bewegen.

An den Zuschauerrängen angekommen können wir erneut nur lachen: Metalldetektoren und weitere Sicherheitskontrollen schaffen astreines Flughafenfeeling. Wieder die Taschen leeren. Ja, den Gürtel bitte auch abnehmen. Mein Autoschlüssel wird genau studiert, das Portemonnaie-Innenleben muss auch präsentiert werden. Vor und hinter uns immer wieder Menschen mit High Heels oder Schuhen, die über die Knöchel reichen: bitte mal ausziehen. Nachdem auch diese zeitaufwändige Vereinzelung endlich geschafft ist, können wir uns nach über einer halben Stunde schließlich auf den Rängen Plätze suchen. Wir sitzen. Genießen das Event. Und reflektieren.

Das Personal

Die Stimmung auf dem Weg zu unseren Plätzen war keineswegs so autoritär, wie man vielleicht herauslesen könnte. Bei all den Maßnahmen waren die Sicherheitskräfte trotz maximaler Gewissenhaftigkeit ausnehmend freundlich. Ich unterhielt mich während der Prozeduren mit ihnen. Ich machte Witze. Sie lachten.

Ich fragte den Abtaster, ob er nicht vorher des Anstands halber wenigstens mit mir was essen wolle. Er antwortet kichernd, es gebe die Möglichkeit, das oben hachholen. Er könne jedoch nicht dabei sein, aber ich könne ja etwas für ihn mitessen. Bei der Frage, welche Gefahr mein fast zehn Jahre altes Siemens S55, auf das ich wegen des Ticketshinweises vorsichtshalber umgestiegen war, für die Aufnahme eines 3D-Films darstelle, lacht er, zuckt die Schultern, schüttelt den Kopf und spricht bedauernd den Satz aus, der ohnehin bereits im Raum stand: „Ich befolge nur Anweisungen.“

Allgemein ist das der Tenor aller Sicherheitskräfte, mit denen ich spreche: Sie sehen den Sinn auch nicht wirklich, haben ihre Anweisungen und bemühen sich, diese so gewissenhaft, aber auch so sozialverträglich wie möglich durchzuführen. Entsprechend unaufgeregt war auch die Stimmung während des gesamten Prozesses, die lediglich von viel verständlichem Unverständnis geprägt war.

Der Weg hinaus

Fast jedem der Gäste schien jedoch schon beim Eintritt klar zu sein, dass das Ganze nochmal anstrengend würde. Denn schließlich, als die Premiere endet und der Applaus noch die Halle erfüllt, springen viele schon hektisch auf und fliehen regelrecht von den Rängen. Auf dem Weg nach unten bietet sich uns dann ein Bild, das auch wir schon vorher vermuteten: Tausende Menschen drängeln sich in der Eingangshalle, um an die zwei Ausgabestellen zu gelangen. Sie sind nach Nummern sortiert: 1-2999 und 3000-5999.

Das Gedränge in der Halle ist groß, voran geht kaum etwas. Immer mehr Menschen gelangen über die Rolltreppen nach unten. So richtig klar wird der Beginn einer Schlange nicht. Viele Menschen stellen sich irgendwo passend hin, blicken in dieselbe Richtung und warten darauf, einzelne Schritte nach vorne gehen zu können. Nach knapp 20 Minuten läuft ein diesmal doch etwas autoritär wirkender Sicherheitsmensch durch die Reihe und zieht noch eine weitere Absperrung auf, um den Personenfluss etwas zu steuern. Der Unmut über den plötzlichen Aufruhr und das verstärkte Gedrängel bahnt sich einen brummelnden Weg durch die Masse. Nach einer halben Stunde sind wir endlich durch die Schlange durch, können unsere Kärtchen abgeben, erhalten unsere Sachen zurück und können dem Trubel entfliehen.

All diese Maßnahmen waren der Premiere – diesem Event, das viele gutgelaunte Menschen gemeinsam erleben wollten – irgendwie unwürdig. Denn neben der gelungenen Inszenierung und dem Film selbst, hinterließ das ganze Prozedere einen faden Beigeschmack, der mit ein wenig Reflexion deutlich und exemplarisch zeigt, weshalb die Urheberrechtsfragen in der letzten Zeit so hochkochen, weshalb sich Fronten bilden und woher die Feindbilder kommen.

Das „große Ganze“

Doch gehen wir einen Schritt zurück und überlegen uns ein Idealbild: Der Abend wäre ein gemeinsames Event gewesen. o2 und Sony Pictures hätten zu einem Großereignis geladen, das sie mit ihren Fans feiern. Bezahlt, versteht sich. Dazu tauchen die Stars – Will Smith, Barry Sonnenfeld, Nicole Scherzinger und Josh Brolin – auf, lassen sich feiern, machen Stimmung. Doch über dieser ganzen Inszenierung, dem Spaß und dem Event schwebte deutlich das Misstrauensvotum, das alle von uns von DVDs kennen: Du darfst hier nur rein, wenn du nichts mit rausnimmst. Und dafür sorgen wir. Mit der größtmöglichen Härte.

Doch was hat dieses Verhalten noch mit der Realität zu tun? Die Ränge, auf denen das normale Volk saß, waren bestimmt 40 Meter von der großen Leinwand entfernt, vielleicht auch mehr. Es war ein 3D-Film. Noch dazu ein Actionfilm. Wovor sollte denn jemand Angst haben, wenn es um das Abfilmen unter solchen Umständen geht? Natürlich, die Veranstaltung war eine Premiere, sie war quasi exklusiv und fand anderthalb Wochen vor dem offiziellen Kinostart statt. Dennoch kann man sich die Frage stellen, wozu dieser riesige Apparat aufgefahren werden musste.

Meines Erachtens gibt es auf diese Frage nicht viele Antworten. Und neben einem Herrschaftskomplex fällt nur noch das Offensichtlichste ein, das ja auch schon auf der Karte vermerkt war: Pirateriebekämpfung. Aber ganz im Ernst: Durch eine wackelige, verschwommene (nochmal: der Film war in 3D!) Smartphone-Aufnahme eines Actionfilms aus großer Distanz geht sicherlich kein einziger Kinobesucher verloren. Nicht einer. Man kommt also nicht umhin, den Verantwortlichen hier schlichtweg Unwissenheit zu unterstellen. Sie wissen nicht, was ihre Kunden wirklich wollen, sondern haben lediglich eine panische Angst davor, dass sie es sich woanders holen. Man kann sich richtig vorstellen, wie ein paar Menschen in Anzügen miteinander verhandeln. „Ihr müsst aber dafür Sorge tragen, dass keiner was aufnimmt“, sagt einer. „Kein Problem, kriegen wir hin“, antwortet sein Gegenüber.

Wenn ich auf diesen Abend blicke, kann ich das Vor- und das Nachspiel eigentlich nur symptomatisch für einen Großteil der Debatten sehen, die derzeit rund um das Urheberrecht geführt werden. Es gibt eine Industrie, die Angst vor Dingen hat, die sie nicht versteht und die sie mit allen Möglichkeiten des Rechtsstaates zu unterdrücken versucht. Mit einem Aufwand, der vollkommen unverhältnismäßig zum potentiellen Schaden ist. Mit einer Maschinerie, die Personen Handys abnehmen lässt, die bereits bei 100 SMS an ihre Speicherkapazitäten stoßen. Einer Maschinerie, die Menschen Schuhe und Gürtel ausziehen lässt und damit mehr an Terrorismusgefahr und Flugzeugabstürze denken lässt – anstatt an ein großartiges Filmereignis.

Was ich am Ende dieses Abends sehe, ist eine Industrie, die werktags das Bild einer verarmenden Sparte verbreitet, die eigentlich nur von ihrer Kunden-, Kunst- und Kulturliebe leben möchte, aber  sich am Wochenende nur Zahlen ansehen und weitere Produktverkäufe planen. Diese Industrie versteht es zweifellos, Content – auch wirklich guten Content – zu produzieren und zu vermarkten. Aber ihre Historie begründet sich darauf, an Großhändler auszuliefern – an Filmverleiher und Plattenläden. Und genau hier müssen Einsichten geschehen, bevor wir wirklich vernünftige Diskussionen, Debatten führen und Lösungen diskutieren können. Denn Situationen, bei denen alle Beteiligten die Köpfe schütteln, während sich Führungsebenen auf die Schultern klopfen, sich erfolgreich gegen Piraterie zu wehren, sind keine Grundlage, sondern schaffen maximal eine aufgeheizte Stimmung voller Unverständnis.

Eigentlich sollten Endkunden und Verlagsfirmen gleichermaßen daran interessiert sein, dass Content produziert wird, der gerne und einfach rezipiert wird. Stattdessen sieht die Content-Industrie in ihren Endkunden immer wieder eine Bedrohung. Solange sich dieser Zustand nicht ändert, werden wir immer wieder polemische Aktionen erleben, die die Fronten, die eigentlich keine sein müssten, weiter verhärten und etablieren. In einer solchen Konstellation sind die Argumente ohnehin egal.